Samstag, 13. Dezember 2008
GAME OVER
Das helle, morgendliche Sonnenlicht blitzte durch die Schlitze im Rollladen. Er sah es aus dem Augenwinkel, als er einen Tropfen auf dem Bildschirm verfolgte. Mal wieder war eine Nacht vorbei. Eine Nacht voll Tod und Schmerzen. Eine schöne Nacht, eine angenehme Nacht, vor dem Morgen, dem Morgen, den er so hasste. Eine Nacht, nach der er hinausgehen musste in diese verblendete Welt. Eine Nacht, die auch ewig hätte gehen können. Doch das Hinausgehen hatte er schon lange aufgegeben. Es war doch sowieso jeden Tag das selbe. Essen, Arbeiten, Essen, Arbeiten, Essen. Jeden Tag das gleiche. Unterbrochen von Pinkelpausen. Ja, genau, die riesige Abwechslung. Doch selbst als er noch hinaus ging, sie waren doch das Spannendste, das es dort draußen zu sehen gab.
Inzwischen ging er nicht mehr nach draußen.

Er gähnte. Da stand es auf dem Bildschirm vor ihm. NEW GAME. Dann stand dort noch einiges anderes. Was dort stand, wusste er schon lange nicht mehr. Es war ihm auch egal.
Er hasste es, die Helligkeit von draußen. Doch er liebte dieses Spiel vor sich. Noch eines, noch eines, ach eines geht doch noch. Das ging jeden Tag stundenlang so.
'Nein, jetzt reicht es'. Klick. Schon zu spät. Wieder volle Konzentration...

... 'You won.' Tapp, tapp, tapp. ...

Als er aufwachte, lag er halb in, halb vor dem, Bett. 'Heute habe ich es sogar noch weit geschafft.' Er lächelte. Das war das einzige, das er sich immer merkte. Woran er bemerkte, inwiefern ihm das Spiel ausreichte. Tapp, tapp, tapp. Da saß er wieder. Den Bildschirm vor sich. NEW GAME. Klick. 'Los geht es wieder!'

Nächster Tag. Im Bett aufgewacht. Nächster. Wieder im Bett. Nächst. Im Bett auf der Seite. ... Bettwäsche durcheinander. Zwischendurch aufgewacht. Schlecht eingeschlafen.
'Verdammt, ich brauche ein neues Spiel!'
Schlecht geschlafen. Kaum geschlafen, lieber gespielt. Nur geschlafen. Endlich die Post.
Neues Spiel. Auf dem Stuhl eingeschlafen. Vor dem Bett geschlafen. Im Bett.
'Verdammt, das Spiel reicht nicht.'
Gar nicht geschlafen. Gar nicht geschlafen. Nur geschlafen. Fast den Postboten verschlafen.
Neues Spiel. Auf dem Boden geschlafen. Im Bett geschlafen.
'Verdammt.'....

10 Minuten später. Bestellvorgang erfolgreich. Noch einmal 3 Tage. Dann müsste die Bestellung angekommen sein.

3 Tage nur gespielt. Eingeschlafen. Zettel im Briefkasten. Von der Post. Keinen erreicht. Jetzt auch noch zum Nachbar, der das Paket hat. Zum Glück neutral verpackt.
So wieder da, Ware anschauen. Nettes Stück. Gleich einmal ausprobieren. Aber vorsichtig.

Test war gut, gefällt mir. Aber jetzt kann ich es kaum mehr lassen. Ab ins Bett, natürlich nur mit dem Ding. Morgen geht es weiter.

Heute gleich mehrmals getestet. Kann nicht mehr genug kriegen. Viel besser als spielen.

Langsam muss ich aufpassen. Es wird zu viel. Nicht das jemand dahinter kommt.

Viel getestet. Morgen erstes Mal richtig los ziehen. Danach nur schnell weg.

Das Ding ist krass. Nicht einmal erwischt worden. Ich verstehe nicht, warum die meisten immer Angst haben, dass man sie erwischt.

Noch einmal ein Riesending, müssen wohl inzwischen fast Hundert sein. Aber ich glaube sie haben einen Verdacht. Deswegen morgen mal dort aufräumen.

Nachdem sie heute morgen da waren und ich gerade noch weggekommen bin, durchs Fenster, habe ich endlich für Ruhe gesorgt. Jetzt wird so schnell keiner mehr kommen. Morgen geht es normal weiter.

Noch ein Tag.
Und noch einer.
Langsam wird auch das langweilig.
Ich sollte mir etwas Neues ausdenken.
Heute noch einmal so, aber morgen, morgen wird es groß.

So nun ist der besagte Morgen. Also raus mit mir. Blick in den Spiegel. Schock! So schwer hätte ich mir das nicht vorgestellt, doch die Leute sollen doch kein schlechtes Bild von so jemand perfektem, wie mir bekommen. Also viel Zeit im Badezimmer verbringen heute. Verdammt, jetzt lohnt es sich kaum mehr los zu gehen. Dafür hält das bis morgen. Also: Morgen geht’s los!

Neuer Tag, neues Glück! Auf die Straße. Einfach nur mit zählen. Diese lächerlichen Würmer auf dem Weg zur Arbeit. Haha, heute seid ihr dran! 1, 2, 3, 4, 5, ..., 10, ..., 20, ... 30. Verdammt, ich werde verfolgt. 40, ..., 50. Das war es mit dem Verfolgen. 63, ..., 70. Langsam reicht es mit dem zählen. 100! Genug gezählt! Weiter und weiter und weiter. Verdammt, da sind schon wieder welche. Weiter... Schuss im Arm. Dafür keiner mehr hinter mir her. Weiter! Es müssen schon an die 300 sein. Weiter! Verdammt, sie haben mich erwischt! Auch noch das Bein! Lange kann ich nicht mehr! Weiter! Wieder alle hinter mir weg! Schon knapp vor 1000! Aber es geht nicht mehr! Und sie sind schon wieder da! Schuss in die Schulter. Ich schieße nur noch um mich und zähle: ... 995, 996, 997. Ich liege schon auf dem Boden. Noch einer! 998. Sie kommen auf mich zu. Die letzten zwei. Treffer! 999. Die Pistole auf mich gerichtet. Er kommt näher. Meine Waffe ist schon weg! Der Versuch mich um zudrehen. Zum Glück habe ich noch schnell das Messer eingesteckt. Die Waffe auf mich gerichtet. Ein letztes Aufbäumen. Das Messer gezückt. Ich steche zu. Ein Schuss! Ich spüre die Kräfte schwinden. Ich sehe den Körper über mir fallen. Die glasigen Augen. Geschafft! 1000! Alles wird schwarz. Ziel erreicht. GAME OVER!!!

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